Humorvolle Anklagen (gefunden im Briefmarken-Ticker 12/2007)
Wie so viele große Berliner – man denke an August Borsig (1804–1854), Werner von Siemens(1816–1892) oder Ernst Reuter (1889–1953) – wurde auch Heinrich Zille (1858–1929)
keineswegs mit Spreewasser getauft. Doch zog die Familie schon während seiner Kindheit von Radeburg, bei Dresden gelegen, nach Berlin. Dort erlebte Zille das Elend der unteren Schichten hautnah. Seinem Talent konnte er zunächst nicht folgen,
sondern musste sich mit einer Ausbildung zum Lithografen
begnügen. Die „Photographische Gesellschaft“ beschäftigte ihn
sodann als Tiefdrucker. Erst mit Beginn der 90er-Jahre des 19.
Jahrhunderts ließ die berufliche und finanzielle Lage eine künstlerische Betätigung in der Freizeit zu.
Ein Studium oder eine vergleichbare Ausbildung genoss Zille natürlich
nicht, fand aber schnell einen großen Förderer: Max Liebermann
(1847–1935). 1901 stellte Zille erstmals in der 1898 von
Liebermann und Walter Leistikow (1865–1908) gegründeten „Berliner
Secession“ aus. In den Folgejahren erhielt er Aufträge von
Zeitschriften wie dem „Simplicissimus“, schuf aber auch zahlreiche freie Grafiken und Zeichnungen.
Als ihn die „Photographische Gesellschaft“ 1908 entließ, konnte er von der künstlerischen Tätigkeit bereits leben. Fünf Jahre später erschien das Buch, das Zille weltberühmt
machen sollte: „Mein Milljöh“.
Humorvoll klagte er die Bedingungen an, unter denen die unteren Schichten leben mussten.
Durchaus erkannte er aber, dass nicht alle Probleme der herrschenden Klasse, dem Staat oder bloß den Umständen zugeschrieben werden durften. Wie nur wenige Sozialkritiker thematisierte Zille, welche Schäden sich Arme und Ärmste selbst zufügten, beispielsweise durch Alkoholkonsum.
In vergleichsweise neutraler Form schildert das 1905
entstandene Bild „Gesellschaft in einer Alt-Berliner Destille“ die
Folgen des Genusses geistiger Getränke für Geist und Körper.
Wer das auf der 55-Cent-Marke gezeigte Bild genau betrachtet,
der erkennt zudem, weshalb alle Versuche scheiterten, Zille für
das Dritte Reich und die DDR zu vereinnahmen.
Ersttag: 2. Januar 2008; Grafikerin: Antonia Graschberger; Herstellung; Offsetdruck ; Format:
35 x 35 mm; Bestellnummer: 004386 (bmst)